Im Zeichen der Digitalisierung der Verwaltungsprozesse stellt sich früher oder später die Frage der „Algorithmisierbarkeit“ der deutschen Rechtssprache. Ein Anfang ist durch Regelungen wie § 35a des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes (VwVfG) gemacht, wonach „automatisierte“ Entscheidungen in bestimmten Fällen zugelassen werden.
In Umkehrung des berühmten Diktums von Lawrence Lessig („Code is Law“) wird jetzt postuliert, dass „Law“ auch „Code“ sei, dass man also zu einer Programmierbarkeit von Recht kommen könne. Man müsse nur die passenden, eindeutigen Ausdrücke finden, dann sei Recht gleichsam „programmierbar“. Aber genau hier stellt sich das Problem: Rechtssprache ist eine Multi-Adressaten-Sprache, also eine Sprache, die sich ebenso sehr an ein Fachpublikum wie an Laien (Bürgerinnen und Bürger) wendet. Sie ist zudem kontextabhängig.
Der aktuelle Hype um den Begriff der „Algorithmisierung“ von Gesetzen verbirgt zudem, dass es sich hierbei um ein Grundproblem von Rechtssprache handelt, das in den 1960er-1980er Jahren unter dem Begriff „Rechts-“ bzw. Verwaltungsautomation“ verhandelt wurde. Und letztlich vermögen es noch so ausgefeilte technische Methoden nicht, das Problem demokratischer Deliberation zu verdrängen – über die Algorithmisierung der Rechtssprache muss der unmittelbar demokratisch legitimierte Gesetzgeber entscheiden. „Kontext“ und „Text“ stehen insoweit in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis.
Seckelmann, Margrit, Text und Kontext – Möglichkeiten und Grenzen einer Algorithmisierung der Gesetzessprache, Sonderausgabe 2021: 5. Europäisches Symposium zur Verständlichkeit von Rechtsvorschriften, herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Zeitschrift für Europäische Rechtslinguistik (ZERL). (Beitrag ist hier abrufbar)