BVerfG, Urt. v. 22.03.2022 – 2 BvE 2/20

Einschränkung des Vorschlagsrecht für Wahl des Bundestagsvizepräsidenten kann verhältnismäßig sein.

Amtliche Leitsätze:

1. Der Schutzbereich von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG erstreckt sich auf sämtliche Gegenstände der parlamentarischen Willensbildung.

2. Einschränkungen der Mitwirkungsbefugnisse des Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG müssen dem Schutz gleichwertiger Verfassungsgüter dienen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen.

3. Die Funktionsfähigkeit des Parlaments stellt ein gleichwertiges Rechtsgut von Verfassungsrang dar, das grundsätzlich geeignet ist, Einschränkungen der Beteiligungsmöglichkeiten der Abgeordneten zu rechtfertigen. Dabei obliegt die Konkretisierung des zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Parlaments Erforderlichen zunächst dem Parlament selbst.

4. Anwendung und Auslegung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages unterliegen nur eingeschränkter verfassungsgerichtlicher Prüfung. Insoweit findet lediglich eine am Grundsatz der fairen und loyalen Anwendung der Geschäftsordnung orientierte Kontrolle evidenter Sachwidrigkeit statt.

5. Bei einer Beschränkung der Mitwirkungsbefugnisse des einzelnen Abgeordneten unter Rückgriff auf die Geschäftsordnungsautonomie ist eine verfassungsgerichtliche Kontrolle dahingehend geboten, ob den dabei zu beachtenden Rechtfertigungsanforderungen aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG Rechnung getragen ist.

Urteil frei zugänglich