VerfGH NRW, Urteil vom 20.12.2019 – 35/19

Die Abschaffung der Stichwahl bei der Wahl des Hauptverwaltungsbeamten kann verfassungswidrig sein.

Amtliche Leitsätze (Auswahl):

1. Der Landesgesetzgeber verfügt bei der Ausgestaltung der Direktwahl der Bürgermeister und Bürgermeisterinnen sowie Landräte und Landrätinnen über einen weiten Gestaltungsspielraum. Dieser Entscheidungsspielraum wird allerdings durch die Verpflichtung eingeschränkt, nach Maßgabe des gewählten Systems die aus dem Demokratieprinzip folgenden Wahlrechtsgrundsätze zu wahren. Zudem hat der Wahlgesetzgeber das ausgewählte Wahlsystem ungeachtet verschiedener Ausgestaltungsmöglichkeiten in seinen Grundelementen folgerichtig zu gestalten. Er darf keine strukturwidrigen Elemente einführen. Entscheidet er sich für eine Änderung im Wahlsystem, bedarf es dafür eines sachlichen Grundes.

2. Es kann nicht ein für alle Mal abstrakt beurteilt werden, ob eine einstufige Wahl der kommunalen Hauptverwaltungsbeamten und -beamtinnen mit einfacher Mehrheit diesen eine hinreichende demokratische Legitimation vermittelt. Die verfassungsrechtliche Beurteilung hängt vielmehr von den jeweils zugrunde liegenden normativen und tatsächlichen Verhältnissen ab, die für die Frage der weiteren Beibehaltung, Abschaffung oder Wiedereinführung einer solchen Direktwahl mit einfacher Mehrheit maßgeblich sind.

3. In tatsächlicher Hinsicht stellt neben der Wahlbeteiligung der Grad der Zustimmung, auf die sich die erfolgreichen Bewerber und Bewerberinnen tatsächlich oder voraussichtlich stützen können, einen maßgeblichen Beurteilungsfaktor dar. Je höher der zu erwartende Anteil der obsiegenden Kandidaten und Kandidatinnen ist, die im einzigen Wahlgang lediglich eine weit von der absoluten Mehrheit entfernte relative Mehrheit erreichen, umso mehr ist das demokratische Prinzip der Mehrheitswahl tangiert.

4. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, das bei der Ausgestaltung der Wahl zu beachtende Gebot der Sicherstellung hinreichender demokratischer Legitimation mit dem mit der Abschaffung der Stichwahl verfolgten sachlichen Grund zum Ausgleich. 

Urteil frei zugänglich

Eine ausführliche Entscheidungsbesprechung finden Sie bei der Hanover Law Review.