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Entwurf für Epidemiegesetz veröffentlicht: Mitautorin Dr. Anna-Lena Hollo im Interview

Entwurf für Epidemiegesetz veröffentlicht: Mitautorin Dr. Anna-Lena Hollo im Interview

© Juliane Liebers | Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

Welche Rechtsgrundlagen sind erforderlich, um Maßnahmen durchsetzen zu können, durch die eine Epidemie flächendeckend, landes- oder gar bundesweit, zum Schutz von Leben und Gesundheit bekämpft werden kann?

Damit haben sich drei Wissenschaftler:innen aus Flensburg, Frankfurt a.M. und Hannover befasst und einen Gesetzesentwurf unter dem Titel „Epidemiegesetz – Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Rechtsgrundlagen der Epidemiebekämpfung“ verfasst. Der Entwurf ist Anfang März im Nomos Verlag erschienen und als Open Access-Publikation frei verfügbar.

Zu dem Autor:innen-Team gehört auch Frau Dr. Anna-Lena Hollo. Sie ist Akademische Rätin a.Z. und Habilitandin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Sozialrecht (Prof. Dr. Hermann Butzer) an unserer Fakultät. Den Gesetzesentwurf hat sie zusammen mit Herrn Johannes Gallon von der Europa-Universität Flensburg und Frau Prof. Dr. Andrea Kießling von der Goethe-Universität Frankfurt erarbeitet.

Wie es zu dem Projekt gekommen ist und ein paar weitere Hintergründe verrät Frau Dr. Hollo in einem kleinen Interview:

Wie kommt man auf die Idee, ein Gesetz zu schreiben, und warum entscheidet man sich als „Privatperson“ dafür, es zu veröffentlichen?

Wir haben uns alle drei während der Corona-Pandemie mit den damaligen Rechtsgrundlagen, mit ihrer Anwendung, mit den Gesetzesänderungen usw. beschäftigt, uns intensiv mit der Kritik daran auseinandergesetzt und auch selbst einiges kritisiert. Wir waren uns einig, dass die Rechtsgrundlagen für zukünftige Epidemien reformiert und neu geordnet werden müssen.

Die konkrete Idee zur Erarbeitung differenzierter Rechtsgrundlagen für die Epidemiebekämpfung kam auf, nachdem erste Entwürfe neuer Regelungskonzepte im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Dritten Bevölkerungsschutzgesetzes im November 2020 keinen Erfolg hatten und sich die Gesetzgebungsorgane stattdessen für die Verabschiedung einer einzigen Vorschrift für alle flächendeckenden Bekämpfungsmaßnahmen (§ 28a IfSG) entschieden, die dazu noch auf die Corona-Pandemie beschränkt war. Wir halten § 28a IfSG und den späteren § 28b IfSG für zu wenig differenziert, um die hochkomplexen Entscheidungen, die während einer Epidemie getroffen werden müssen, vorzustrukturieren.

Deshalb entschieden wir uns zur Entwicklung eines eigenen Entwurfs, der als Impuls für das Gesetzgebungsverfahren dienen sollte, von dem wir glaubten, dass es spätestens 2022 in Angriff genommen werden würde. Noch wurde aber keine Reform eingeleitet. Mit unserem Entwurf möchten wir die ursprünglichen Reformbestrebungen wieder anstoßen und einen Beitrag zu einer konstruktiven Diskussion leisten.

Ihr Entwurf enthält also Ihre Vorschläge, wie man potenzielle zukünftige Epidemien besser bekämpfen kann. Was sind die Kernbereiche, die Ihr Entwurf regelt, und welche Bereiche regelt der Entwurf Ihrer Meinung nach besser als bspw. das aktuelle IfSG?

Der Entwurf schlägt Rechtsgrundlagen für sogenannte Schutzmaßnahmen zur Epidemiebekämpfung vor. Dabei handelt es sich um Verordnungsermächtigungen für Maßnahmen, die in unterschiedlichen, von uns konkretisierten Lebensbereichen eingesetzt werden können, um die Ausbreitung eines Krankheitserregers einzudämmen, also beispielsweise Maskenpflichten, Beschränkungen von Veranstaltungen, Vorgaben für den Einzelhandel, für Schulen, Kitas und Pflegeheime, Beschränkungen des Reise- und des Warenverkehrs.

Der Entwurf ist entgegen den Regelungen, die im Laufe der Corona-Pandemie in das IfSG eingefügt worden sind, nicht auf einen einzelnen Krankheitserreger beschränkt. Die Regelungen können z.B. sowohl für Atemwegserreger als auch für Durchfallerreger angewandt werden. Welche Maßnahme für die Eindämmung welches Erregers geeignet ist, muss dann im Einzelfall entschieden werden. Der Entwurf ermöglicht daher die Bekämpfung verschiedener zukünftiger Epidemien.

Der Entwurf verzichtet außerdem auf das Erfordernis der Feststellung der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ durch den Bundestag oder einen ähnlichen Beschluss. Wie im sonstigen Verwaltungsrecht auch müssen bestimmte Voraussetzungen für ein Tätigkeitwerden der Behörden vorliegen, das überprüfen die Behörden aber selbst; die Verwaltungsgerichte wiederum können diese Entscheidungen kontrollieren.

Wichtiges Merkmal des Entwurfs ist außerdem, dass die Voraussetzungen für viele unterschiedliche Lebensbereiche detailliert ausbuchstabiert werden: Zwar mögen manche Maßnahmen bei manchen Erregern in nahezu allen Lebensbereichen sinnvoll sein (wie etwa eine Maskenpflicht bei einem Atemwegserreger), etwaige Ausnahmen regelt unser Entwurf aber ausdrücklich. Für andere Maßnahmen ist eine solche Allgemeingültigkeit von vornherein nicht gegeben. Auch die besondere Belastung bestimmter Personengruppen muss sich in unterschiedlichen Regelungen ausdrücken. Deswegen haben wir jeweils eigene Vorschriften etwa für Krankenhäuser, Pflegeheime, Schulen, Kitas und Geschäfte entworfen.

Demgegenüber enthält das IfSG mittlerweile nur noch die Generalklausel des § 28 Abs. 1, die es bereits vor der Corona-Pandemie gab. Die Heranziehung dieser Vorschrift wurde 2020 damit begründet, dass der IfSG-Gesetzgeber flächendeckende Maßnahmen der Epidemiebekämpfung nicht vorgesehen und deswegen nicht geregelt hatte. Dieses Argument ist nun weggefallen. Eine effektive Epidemiebekämpfung, die Bestand vor den Gerichten hat, ist auf dieser Grundlage nicht mehr möglich.

Sie und ihre Mitstreiter:innen haben anderthalb Jahre intensiv an dem Projekt gearbeitet. Das klingt nach viel Arbeit. Was sind die größten Herausforderungen beim Schreiben eines Gesetzes?

Es ist deutlich einfacher, ein bestehendes Gesetz zu kritisieren, als ein neues Gesetz zu entwerfen. Die Herausforderungen beginnen bereits damit, sich zu überlegen, wie der Zuschnitt sein soll, da wir nicht alles, was geregelt werden muss, in anderthalb Jahren in einen Gesetzentwurf gießen können. Dazu fehlt uns in manchen Bereichen auch schlicht die Expertise. Dann müssen der Aufbau des Gesetzes, die Regelungstechnik, die Handlungsform der Bekämpfungsmaßnahmen, die Lebensbereiche, die geregelt werden sollen, und die konkrete Kategorisierung und Anordnung der Bereiche im Gesetzentwurf in verschiedenen Abschnitten, Teilen und Kapiteln festgelegt werden. Danach ist es eine große Herausforderung, die Tatbestände hinreichend bestimmt, aber auch nicht zu eng zu formulieren, sich dabei an den unterschiedlichen Übertragungsarten von Krankheitserregern zu orientieren und diese abzudecken. Auch die Rechtsfolgenseite der Normen ist alles andere als trivial, soll sie doch als Leitplanke für den Rechtsanwender dienen, ihm aber auch genug Ermessensspielraum belassen. Wir haben sehr viel diskutiert und immer wieder viel umgeworfen und umformuliert, bevor wir zufrieden waren. Gleichzeitig ist uns klar, dass ein Epidemiegesetz auch ganz anders strukturiert und ausgerichtet sein kann; wir haben einen Vorschlag von verschiedenen möglichen Vorschlägen vorgelegt.

Sie haben sich dazu entschiedenWarum haben Sie sich dazu entschieden, Ihren Entwurf in einem Buch und zugleich als Open Access-Publikation zu veröffentlichen?. Es ist zwar auch als Druckausgabe im Handel erhältlich, ist aber auch frei verfügbar im Internet abrufbar. So eine Veröffentlichung kostet doch aber Geld. Wer finanziert so etwas?

Die Veröffentlichung als Druckausgabe stand für uns von Anfang an fest, da dies nach wie vor der wissenschaftliche Standard ist. Wir halten aber alle drei viel von Open Access, weil dies die Verfügbarkeit von Literatur und auch die Wahrnehmbarkeit – in diesem Fall auch über Disziplingrenzen hinweg – ungemein erhöht. Außerdem profitieren wir selbst gerne von Open Access-Veröffentlichungen anderer Werke, die wir für unsere Arbeit brauchen. Da wir bei dem Nomos-Verlag die Möglichkeit hatten, diese kumulierte Variante zu wählen, und wir dank verschiedener Förderungen, die wir eingeworben haben, letztendlich sowohl den Druck als auch die Open Access-Publikation finanzieren konnten, war für uns die Entscheidung schnell klar.

Wenn Sie steuern könnten, was mit Ihrem Entwurf passiert, was wären die nächsten Schritte bzw. was wäre Ihre Idealvorstellung?

Infektionsschutzrechtliche Gesetze werden auf Bundesebene vom Bundestag erlassen. Ihre Verabschiedung und inhaltliche Ausgestaltung durch politische Leitlinien obliegt den politischen Organen. Die Vorbereitung und Abfassung von Gesetzen nehmen in der Staatspraxis die Ministerien vor. Sie bedienen sich dabei Überlegungen der Legistik und der Rechtsdogmatik, die auch Gegenstand der Wissenschaft sind. Wir wünschen uns, dass der Bundesgesetzgeber unseren Entwurf zum Anlass nimmt, die ursprünglichen Reformbestrebungen hinsichtlich des IfSG wieder aufzunehmen. Aktuell scheint tatsächlich wieder Bewegung hineinzukommen: So warb Bundesjustizminister Buschmann erst Anfang April für eine Reform des IfSG noch in dieser Legislaturperiode. Wir wünschen uns, dass diesen Worten alsbald Taten folgen werden und unser Vorschlag dabei einbezogen wird. Dabei ist unser Entwurf verfassungsrechtlich nicht zwangsläufig, das Epidemierecht kann auch anders ausgestaltet werden. Der Entwurf ist in dem Bewusstsein verfasst, dass andere Prämissen zu anderen Rechtsnormen führen. Wir haben versucht, unsere Überlegungen und Prämissen transparent zu machen. Für den Fall anderer Schwerpunktsetzungen bietet der Entwurf Regelungskonzepte und Abgrenzungen an, die der Bundesgesetzgeber aufnehmen und einbeziehen kann.

 

Wir bedanken uns bei Frau Dr. Anna-Lena Hollo für das Interview.

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Verfasst von PSR