Wie verarbeitet man juristisch das Unrecht eines vergangenen Staates? Dieser Frage widmete sich der historische Moot Court, der im Sommersemester 2025 im Rahmen des Proseminars „(Über) Unrecht erfahren“ stattfand. Ausgangspunkt war ein historischer Fall: die tödlichen Schüsse eines DDR-Grenzsoldaten auf einen flüchtenden Jugendlichen an der innerdeutschen Grenze.
„(Über) Unrecht erfahren“ ist ein von Prof. Dr. Margrit Seckelmann und Prof. Dr. Sascha Ziemann entwickeltes Lehrformat, bei dem Studierende eine rekonstruierte Gerichtsverhandlung aus der Vergangenheit nachstellen und begleitend über die Fragen von Recht und Unrecht sowie individueller Vorwerfbarkeit bei Systemunrecht reflektieren. Der Moot Court soll § 5a Abs. 2 S. 3 (2. Hs.) des Deutschen Richtergesetzes mit Leben füllen, welcher eine Auseinandersetzung mit Unrecht der NS- und der SED-Diktatur als Bestandteil der juristischen Ausbildung etabliert.
Zu Beginn des Semesters wurden die Rollen der Verfahrensbeteiligten unter den Studierenden zugelost. Neben dem Angeklagten, der Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklage, wurden als Rollen auch rechtsphilosophische Expertinnen und Experten verteilt, die in die historischen Hintergründe und in die Frage eines Umgangs mit Systemunrecht unter Heranziehung der sog. Radbruchschen Formel einführten. Die Wortbeiträge für die abschließende Gerichtssimulation wurden von den Studierenden im Laufe des Semesters vorbereitet, zwischenzeitlich fand auch noch eine Sitzung statt, auf der die rechtliche Problematik auf der Basis zuvor eingereichter schriftlicher Ausarbeitungen gemeinsam erörtert wurde (gerade auch im Hinblick auf die Anwendbarkeit von Rechtfertigungsgründen nach dem DDR-Grenzgesetz).
Die Verhandlung
Am 3. Juli 2025 war es dann soweit: Der Moot Court Raum füllte sich mit den Prozessparteien und den Zuhörenden. Zunächst Prof. Dr. Sascha Ziemann in die historische Situation des ersten Mauerschützenprozesses (BGHSt 39, 1), der dem Sachverhalt zugrunde lag. Dann wurde die Sache aufgerufen, alle erhoben sich und das Gericht zog ein. Der (fiktive) 20. Prozesstag begann. Dieser startete mit dem Ende der Beweisaufnahme, in der zunächst der Angeklagte eine Einlassung machte und sodann die Sachverständigen Frau Dr. Kelsen und Herr Dr. Radbruch vernommen wurden. Nach dem Ende der Beweisaufnahme folgten die Plädoyers der Staatsanwaltschaft, der (anwaltlich vertretenen) Nebenklage und der Verteidigung. Der Angeklagte hatte wie immer das letzte Wort.
Ein besonderes Highlight der Veranstaltung war die Leitung der Gerichtsverhandlung durch RiAG Dr. Christine Franzius, derzeit abgeordnet an das Landgericht Itzehoe. Auf Einladung von Prof. Seckelmann brachte sie ihre richterliche Erfahrung ein und konnte dem Moot Court einen authentischen Charakter verleihen.
Den Abschluss der Verhandlung bildete selbstverständlich das Gerichtsurteil. Über Schuld oder Unschuld des Angeklagten entschieden die Zuhörenden, die hier – unter Entlehnung von Elementen des angloamerikanischen Rechts als Jury fungierten. Die Abstimmung fiel eindeutig aus: schuldig. Als die Richterin den ihr von der Jury übermittelten Schuldspruch verkündete, ging ein Raunen durch den Saal.
Ausblick
Das Proseminar soll künftig mit anderen historischen Fällen fortgesetzt werden und bildete den Anfang einer entsprechenden Reihe, die im kommenden Sommersemester fortgesetzt werden soll.
Bildergalerie
Eine Bildergalerie mit Eindrücken von der Veranstaltung kann unter diesem Link angeschaut werden.
Verfasst von Tom Cirksena.
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