Amtliche Leitsätze:
- Der Bundesrepublik Deutschland obliegt ein allgemeiner Schutzauftrag dahingehend, dass der Schutz grundlegender Menschenrechte und der Kernnormen des humanitären Völkerrechts auch bei Sachverhalten mit Auslandsberührung gewahrt bleibt.
- Dieser Schutzauftrag kann sich unter bestimmten Bedingungen je nach Einzelfall zu einer konkreten grundrechtlichen Schutzpflicht verdichten.
- Eine solche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bezieht sich auf die Einhaltung des anwendbaren Völkerrechts zum Schutz des Lebens. Sie erfasst auch Gefährdungen, die von einem anderen Staat ausgehen.
- Eine Eingrenzung dieser verfassungsrechtlichen Schutzpflicht auf deutsche Staatsangehörige oder Gebietsansässige sieht die Verfassung nicht vor. Es können auch im Ausland lebende Menschen nicht deutscher Staatsangehörigkeit vor Gefahren, die einen hinreichenden Bezug zur deutschen Staatsgewalt haben, geschützt sein.
- Die Frage, ob ein hinreichender Bezug gegeben ist, ist anhand einer an den Umständen des Einzelfalls ausgerichteten wertenden Gesamtbetrachtung zu beantworten. Eine auf einen bloß zufälligen Gebietskontakt beschränkte territoriale Verankerung auch nur eines Teils eines Gesamtgeschehens reicht für die Auslösung einer grundrechtlich relevanten Schutzbedürftigkeit im Ausland nicht aus. Es bedarf vielmehr eines spezifischen Beitrags von einem gewissen Gewicht, um einen hinreichenden Bezug zur grundrechtsgebundenen deutschen öffentlichen Gewalt herzustellen.
- Für eine Verdichtung eines allgemeinen Schutzauftrags zu einer konkreten extraterritorialen Schutzpflicht im Hinblick auf das Handeln eines Drittstaats muss außerdem die ernsthafte Gefahr bestehen, dass dem Schutz des Lebens dienende Regeln des humanitären Völkerrechts und/oder der internationalen Menschenrechte systematisch verletzt werden. Erforderlich sind gewichtige Anhaltspunkte, die den Eintritt derartiger Verletzungen nicht bloß möglich erscheinen, sondern ernstlich befürchten lassen.
- Bei der Prüfung, ob eine solche Gefahr durch das Handeln eines Drittstaats besteht, ist die Rechtsauffassung der für außen- und sicherheitspolitische Fragen zuständigen deutschen Staatsorgane maßgeblich zu berücksichtigen, soweit sich diese als vertretbar erweist.
Eine ausführliche Entscheidungsbesprechung von Jonas Rahn finden Sie bei der Hanover Law Review.