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Nahostkonflikt und Völkerrecht: Rückblick auf das 1. Hannoversche Gespräch zum humanitären Völkerrecht

Nahostkonflikt und Völkerrecht: Rückblick auf das 1. Hannoversche Gespräch zum humanitären Völkerrecht

© Raphael Wedemeyer | DRK-Region Hannover e.V.

Nach zwei erfolgreichen Summer Schools zum Humanitären Völkerrecht haben das Deutsche Rote Kreuz-Region Hannover e.V. und das Institut für Internationales Recht der Leibniz Universität Hannover eine neue Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen: In den „Hannoverschen Gesprächen zum Humanitären Völkerrecht“ kommen Expert:innen aus Praxis und Forschung zusammen und diskutieren aktuelle Themen und Herausforderungen des internationalen Völkerrechts.

Die Auftaktveranstaltung der neuen Reihe fand am Donnerstag, den 7. Dezember 2023, von 18.00 bis 20.00 Uhr im 14. Stock des Conti-Hochhauses statt und stand unter dem Motto „Recht und Konflikte – der Nahostkonflikt und das Völkerrecht“. Als Referent:innen konnten Herr Prof. Dr. Robert Frau (TU Bergakademie Freiberg) und Frau Dr. Heike Spieker (DRK-Generalsekretariat) gewonnen werden. Herr Professor Frau trug zum Thema „Rechtmäßig oder Kriegsverbrechen? Fallbeispiele des Gaza-Kriegs“ vor und übernahm kurzfristig den Teil von Frau Spieker zum Thema „Blurred Lines – can we afford renouncing to a minimum standard of humanity?“, die aufgrund eines Bahnstreiks leider verhindert war.

Die Veranstaltung wurde moderiert von Dr. Stefan Birkner.

Gegenstand des einleitenden Impulses von Professor Frau und den darauffolgenden Diskussionen sollte die Einordnung des aktuellen Konflikts in und um Gaza herum sein – aus dem Blickwinkel des humanitären Völkerrechts. Hierzu war es zunächst notwendig eine Abgrenzung zwischen dem Friedensicherungsrecht (ius contra bellum) und dem Recht im Krieg (ius in bello) zu schaffen. Anders als die Frage des ius contra bellum, enthält das humanitäre Völkerrecht inhärent keine rechtlichen Wertungen; es differenziert nicht nach subjektiven Faktoren wie Aggressor oder dem Verteidiger, sondern allein objektiv nach den in ihm begangenen Handlungen und dem Status der betreffenden Personen. Dies bedeutet nicht, dass es in der Praxis auch andere Limitierungen wie etwa den sog. Rules of Engagement, nationales Recht, militärische Strategie oder Taktik geben kann. Insbesondere Politik und „Public Relations“ stellen oft eine Herausforderung für den sachliche Umgang mit dem humanitären Völkerrecht in gegenwärtigen Konflikten dar. Um dieses abstrakte Thema greifbarer zu machen erinnerte Professor Frau zunächst an die eigentliche Zielrichtung des humanitären Völkerrechts: Seine Regeln beinhalten bereits in ihrer Schaffung eine Abwägung zwischen humanitären Erwägungen und der sog. militärischen Notwendigkeit. Dies zeigt sich bereits in seinen Kardinalprinzipien, wie dem Verbot überflüssigen Leidens und unnötiger Verletzungen, dem Unterscheidungsgrundsatz oder dem Gebot der Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff.

Gegenstand auch der gemeinsamen Diskussion waren insbesondere die Frage der Einhaltung dieser Prinzipien im Kontext der Urbanen Kriegsführung. Aufwendig können Feststellungen betreffend potenzielle Verletzungen etwa des Unterscheidungsgebots nach Art. 48 (1) des 1. Zusatzprotokolls von 1977 zu den 4 Genfer Konventionen von 1949 sein, da es nicht immer einfach ist festzustellen, wer Zivilperson oder Kombattant bzw. Kämpfer ist; was ein ziviles Objekt oder ein militärisches Ziel. Dies ungeachtet der Zweifelsregelung in Art. 50 (1) des Zusatzprotokolls von 1977. Die durch Art. 57 (1) und 58 des Zusatzprotokolls geschaffene Lösung bieten eine verbindliche theoretische Grundlage. Zu nennen waren hier etwa die Zielidentifizierung und Aufklärung, die Wahl eines angemessenen Mittels, die Auswertung der betreffenden Zone sowie sog. „battle damage assesments“. Ihre Umsetzung mag aus der Beobachterperspektive schwer zu bewerten sein. Beispielhaft wurde hier die Praxis der Israel Defense Forces bezüglich ihrer Warnungen an die palästinensische Zivilbevölkerung analysiert. Als weitere Fallbeispiele wurden hier auch die Geiselnahme durch Akteure des Konfliktes, Angriffe auf Krankenhäuser sowie Tunnelsysteme genannt.

In diesem Zusammenhang ebenfalls intensiv diskutiert wurde die Frage der Klassifizierung von Personen unter die Rechtsbegriffe der Zivilpersonen oder Kämpfer sowie die Regelungen des humanitären Völkerrechts zu besonders geschützten Anlagen wie Sanitätseinheiten und -einrichtungen sowie Anlangen und Einrichtungen, die gefährliche Kräfte enthalten. Herr Professor Frau vertiefte insbesondere die Diskussion um die Frage, wann eine Person nach den Regelungen des humanitären Völkerrechts ein sog. Kombattant wird, wer über das „ob“ und das „wie“ entscheidet und wie mit der praktisch komplizierten Figur der „unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten“ durch Zivilpersonen umgegangen werden kann. Dies auch schon vor dem Hintergrund, dass Staaten Begriffe wie „Unlawful Combatants“, „Illegal Combatants“ etc. oft aus politischen Gründen absichtlich missverständliche verwenden.

Großer Dank geht, neben dem Deutsche Rote Kreuz-Region Hannover e.V. für die Realisierung des Projekts, an das gesamte Team der Juristischen Fakultät, sowie dem Team vom Lehrstuhl von Herrn Prof. Dr. Claas Friedrich Germelmann, LL.M. für die organisatorische Unterstützung und an die Vielzahl der Teilnehmer:innen für die anregenden Diskussionen. Die Organisator:innen freuen sich über die gute Annahme der Gespräche.

Verfasst von Vincent Widdig.

 

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