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Haftung und Datenauswertung beim autonomen Fahren: Rückblick auf die Ringvorlesung „Automatisierte Systeme“ mit Dr. Christian Theissen und Prof. Melanie Reid

Haftung und Datenauswertung beim autonomen Fahren: Rückblick auf die Ringvorlesung „Automatisierte Systeme“ mit Dr. Christian Theissen und Prof. Melanie Reid

© Alessio Lin | unsplash.com

Die letzte Veranstaltung der Ringvorlesung „Automatisierte Systeme“ des Jahres 2021 fand am 14. Dezember statt und wurde vom Lehrstuhl für Zivilrecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht (Prof. Dr. Buck-Heeb), dem Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Zivil- und Handelsrecht (Prof. Dr. Oppermann), der Forschungsstelle für Bank- und Kapitalmarktrecht sowie Kapitalmarktstrafrecht der Leibniz Universität Hannover und dem Interdisziplinären Institut für Automatisierte Systeme e.V. (RifaS) ausgerichtet.

Dr. Christian Theissen und Prof. Melanie Reid waren die Vortragenden dieser Veranstaltung. Beide sprachen über ihre Themen auf Englisch, damit auch die ausländischen Teilnehmenden dieser international ausgerichteten Veranstaltung folgen konnten.

Der Vortrag von Herr Theissen zum Thema „Autonomous driving and liability: from product liability and regulatory limits for software over the air“ startete mit seinen eigenen ersten Berührungspunkten zum autonomen Fahren. Noch vor einigen Jahren musste er als Sprecher die Ausrichter einer Konferenz von der Relevanz dieses Themas überzeugen. Heutzutage ist autonomes Fahren jedem ein Begriff und die praktische Relevanz der damit verbundenen juristischen Fragen steht nicht mehr zur Debatte.

In einer früheren Version des Vortrags zog Herr Theissen das Fazit, dass die Technik zukünftig für das autonome Fahren bereit sein wird. Ob allerdings die rechtlichen Fragen bis dahin geklärt sind, erschien fraglich. Inzwischen habe Mercedes-Benz als erster Automobilkonzern eine Zulassung ihres Level-3 Autopiloten (SAE levels) erwirkt und EasyMile habe ab September 2022 sogar eine Level-4 Zulassung. Daher ist die Klärung der damit verbundenen Rechtsfragen umso drängender.

Dabei beziehen sich die Fragen nicht nur auf den Bereich der Haftung für autonomes Fahren selbst, sondern beispielsweise auch auf den Aspekt der Datensicherheit. Das ist insbesondere deshalb virulent, weil autonomes Fahren nunmehr auch ein integraler Bestandteil von sogenannten „smart cities“ in Form von autonomen Shuttles im öffentlichen Nahverkehr ist. Pläne für solche Städte gibt es derzeit schon für Dubai, Singapur und London.

Die Haftungsfragen des autonomen Fahrens knüpfen an den unterschiedlichsten Stellen an. So wurde etwa die Blockbox-Pflicht für selbstfahrende Autos genannt, die erstmalig den Versicherern die Möglichkeit bietet sich auf die Fehlerhaftigkeit des Autos zu berufen, oder aber die Auslegung von EU-Verordnungen hinsichtlich Cybersecurity Management Systemen und deren Sicherheit.

Dazu gehört ebenfalls die Abgrenzung, wo ein neues Update beginnt, das stets zu genehmigen ist, und wo die Software wegen einer Sicherheitslücke ohne vorherige Genehmigung angepasst werden darf („bug fixes“). Fälle, in denen z.B. Tesla ein Update ohne Ankündigung oder öffentlicher Bekanntmachung aufspielte („silent recall“), nachdem sich eine Sicherheitslücke in der Software aufgetan hatte, gibt es bereits.

In Konflikt geraten somit verschiedene Rechte und Pflichten, wenn Sicherheitslücken schnell geschlossen werden müssen, die zusätzlich potenzielle Eingriffe in fremdes Eigentum darstellen können.

Prof. Melanie Reid referierte anschließend zum Thema „Your Privacy on the Road: What is collected and How it is Utilized“.

Sie startete ihren Vortrag, indem sie den Sachverhalt des ersten fatalen Unfalls eines autonomen Fahrzeugs in den USA darstellte.

Ein von Uber betriebenes Testfahrzeug war im Jahr 2018 auf einer Teststrecke in einen „Crash“ mit einer Fußgängerin involviert. Dies löste eine Diskussion nach der strafrechtlichen Verantwortung aus. Die Besonderheit war hier, dass die Daten, die den Ermittlungsbehörden zur Verfügung standen, extrem weitreichend und umfassend waren. Sie gingen weit über die „normalen“ Daten hinaus und umfassten zusätzlich alle Informationen, die das Fahrzeug gesammelt hatte. Daraus ließ sich der genaue Unfallablauf herleiten.

Dabei stellte sich heraus, dass die „Fahrerin“ während der Fahrt nach unten schaute, weil sie eine Show auf ihrem Handy streamte. Gleichzeitig schätzte das System des Fahrzeugs die Fußgängerin fehlerhaft nicht als Hindernis ein und verlangsamte die Geschwindigkeit des Fahrzeugs nicht. In diesem Moment war das System also auf die „Fahrerin“ angewiesen, da Uber eine bestimmte Monitoringfunktion ausgeschaltet hatte, die den Zusammenstoß potenziell verhindert hätte. Der Fußgängerin konnte im Nachhinein eine Bewusstseinsbeeinträchtigung durch Betäubungsmittel nachgewiesen werden. Für jede der involvierten Parteien lag folglich ein potentiell vorwerfbares Verhalten vor. Im Ergebnis resultierte daraus jedoch eine Anklage der „Fahrerin“, da sie das System nicht aufmerksam überwacht hat.

Das Strafverfahren in der geschilderten Sache hat zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht begonnen, doch die Staatsanwaltschaft wird sich hauptsächlich auf die gesammelten Daten berufen. Die Verteidigung wird sich nach Prof. Reids Einschätzung hingegen auf die Argumentation stützen, dass das System fehlerhaft funktioniert hat und die „Fahrerin“ deshalb keine Verantwortung trifft. Auch das Phänomen der „Automation Complacency“ wird in dem Verfahren eine Rolle spielen. Ein durchschnittlicher Fahrer wäre nach dieser Argumentation ebenfalls unaufmerksam gewesen, da dies in der Natur des Menschen liege.

Ein weiterer Punkt, der bei diesem Verfahren leicht untergeht, ist jedoch, dass private Unternehmen Unmengen von Daten sammeln. Im Fall des beschriebenen Unfalls hat Uber die Daten ohne einen richterlichen Beschluss zur Verfügung gestellt. Hinsichtlich solcher Daten, so fordert Prof. Reid, sollten Behörden einen Beschluss benötigen, um auf sie zugreifen zu dürfen. Zusätzlich gestaltet sich die korrekte Interpretation der Daten schwierig.

Zuletzt sprach Prof. Reid einen Patentantrag von Ford an, aus dem hervorgeht, dass Polizeiautos zukünftig über zahlreiche Überwachungsmethoden verfügen könnten. Diese wären so weitreichend, dass ein autonomes Fahrzeug für die Ausstellung eines Strafzettels nicht einmal mehr angehalten werden müsste und das Polizeiauto direkt mit diesem kommunizieren könnte.

Die angeregte Diskussion im Anschluss an die beiden Vorträge stellte den Abschluss der letzten Ringvorlesung im Jahr 2021 dar.

Verfasst von Dipl.-Jur. Corvin Hennig.

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