Nach Corona bedingter Pause war es in Wintersemester 2022/23 wieder möglich, die Exkursion des Schwerpunktbereichs 2 (Arbeit, Unternehmen, Soziales) zum Bundesarbeitsgericht (BAG) nach Erfurt durchzuführen.
Vom 19. bis 20. Dezember 2022 besuchten ca. 20 Studierende des Schwerpunktbereichs 2 die Thüringische Landeshauptstadt Erfurt. Für die intensive Planung danken wir insbesondere Herrn Prof. Dr. Heinrich Kiel sehr herzlich. Herr Kiel ist Vorsitzender Richter des Neunten Senats am BAG und ist seit 2011 als Honorarprofessor an der Juristischen Fakultät tätig.
Nach Anreise und kleiner Stärkung empfing uns Herr Professor Kiel am Augustinerkloster Erfurt, in welchem Martin Luther von 1505 bis 1511 als Mönch lebte und wirkte. Anschließend machten wir uns gemeinsam auf den Weg zum BAG, der uns auch über den Weihnachtsmarkt führte. Dort ließen wir es uns bei von Herrn Professor Kiel gesponserten Pralinen gut gehen. Sodann erklommen wir den Petersberg und sahen ihn dann vor uns, den prachtvollen Bau des BAG; geplant von Gesine Weinmiller (Berlin), deren Entwurf aus 167 Entwürfen bei einer europaweiten Ausschreibung den Zuschlag erhielt. Im BAG angekommen, erklärte uns Herr Professor Kiel zunächst einiges über das Design und die verwendeten Materialien, bevor wir dann zunächst die Sitzungssäle betrachteten. Hier ließen es sich einige nicht nehmen, einmal selbst auf dem Richterstuhl Platz zu nehmen und so die richterliche Perspektive kennenzulernen. Weiter führte uns die Besichtigung eine Etage höher in die Bibliothek, die im Übrigen auch externen Nutzern offen steht. Im 2. OG angekommen, warfen wir einen Blick in das Büro von Herrn Professor Kiel und bestaunten die Portraits der ehemaligen Richtenden sowie die Konferenzräume im 3. OG, wo auch regelmäßig der Richtertee stattfindet. Dabei wurde auch die Vergangenheit einiger Portraitierter und der Umgang des BAG‘s mit deren Vergangenheit in der Zeit des Nationalsozialismus thematisiert. Nach der Besichtigung kehrten wir auf den Weihnachtsmarkt zurück und besuchten anschließend das italienische Restaurant Charleston, in welchem wir uns stärkten und bei lustigen und interessanten Gesprächen einander noch besser kennen lernten.
Nachdem wir uns von Herrn Professor Kiel verabschiedet hatten, zogen einige noch weiter und ließen den Abend in einer Bar in der Nähe des Augustinerklosters ausklingen.
Am nächsten Tag stand der Besuch zweier Verhandlungen beim BAG an. Nachdem alle pünktlich um 08.15 Uhr im BAG angekommen waren, wurden wir von der wissenschaftlichen Mitarbeiterin am BAG, Frau Peters, empfangen. Diese stellte uns sodann die an diesem Tag vom Neunten Senat zu verhandelnden Fälle vor, sodass wir gut informiert die Verhandlungen verfolgen konnten:
Im ersten Verfahren stritten ein angestellter Frachtfahrer und dessen Arbeitgeberin über den Verfall von Urlaubsansprüchen. Der Kläger konnte wegen voller Erwerbsminderung aus gesundheitlichen Gründen seine Arbeitsleistung nicht erbringen und deshalb seinen Urlaub nicht nehmen. Mit seiner Klage hat er u.a. geltend gemacht, ihm stehe noch Resturlaub zu. Dieser sei nicht verfallen, weil die Beklagte ihren Obliegenheiten, an der Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub mitzuwirken, nicht nachgekommen sei.
Der Senat urteilte, dass ein Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub aus einem Urlaubsjahr, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er aus gesundheitlichen Gründen an der Inanspruchnahme seines Urlaubs gehindert war, regelmäßig nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten erlischt, wenn der Arbeitgeber ihn rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen. Dies folge aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG.
Das zweite Verfahren war ein Verfahren, welches vorher ein großes öffentliches Interesse erweckt und auch den EUGH in einem Vorabentscheidungsverfahren bereits beschäftigt hatte. So titelte eine bekannte Zeitung: „Hammer Urteil erwartet“. Neben den rechtlichen Aspekten lernten wir hier die gerichtliche Pressearbeit und die öffentliche Berichterstattung an Bundesgerichten kennen.
Die Beteiligten in diesem Verfahren stritten um die Verjährung von Urlaubsansprüchen. Der EUGH hatte im September diesen Jahres bereits geurteilt, dass der Zweck der Verjährungsvorschriften, in der vorliegenden Fallkonstellation hinter dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 GrCh zurücktritt. Zweck dieser Norm ist es, die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Urlaub zu schützen. Die Gewährleistung der Rechtssicherheit dürfe nicht als Vorwand dienen, um zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis berufe, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben.
Der Senat setzte die Vorgaben des EUGH so um, dass er die Vorschriften über die Verjährung (§§ 214 Abs. 1, 194 Abs. 1 BGB) auf den gesetzlichen Mindesturlaub generell für anwendbar hält. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginne bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB jedoch nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
Im Anschluss an die Verhandlungen beobachteten wir die Interviews der Medienvertreter und stärkten uns danach bei einem gemeinsamen Mittagessen im Casino des BAG. Den Abschluss bildeten die Urteilsverkündungen, nach welchen wir uns von Herrn Professor Kiel verabschiedeten und die Heimreise nach Hannover antraten. Nicht wenige schauten an diesen Abend gespannt die Nachrichten, welche über das zweite Verfahren berichteten. Einige von uns waren sogar für einen kurzen Moment in den TV-Beiträgen zu sehen.
So war es eine Fahrt, die allen sehr gut gefallen hat und wohl als eines der interessantesten und motivierendsten Studienerlebnisse in bester Erinnerung bleiben wird. Wir hatten nicht nur die Möglichkeit, das BAG ausgiebig kennenzulernen, sondern auch einen überaus zuvorkommenden und herzlichen Bundesrichter persönlich kennen zu lernen und aus seinem enormen Erfahrungsschatz Vieles auf unseren weiteren Wegen mitzunehmen. Die Mischung aus juristischem Diskurs, der Besichtigung einer traditionsreichen und historisch bedeutenden Stadt und die gesellschaftliche Begegnung der Teilnehmer fernab der Universität machten die Fahrt zu etwas ganz Besonderem. Hierfür bedanken wir uns noch einmal ausdrücklich bei Herrn Professor Kiel für seine Zeit und sein Engagement.
Verfasst von Sina John.
Über den Schwerpunktbereichs 2
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