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Im Anflug auf das BAG: Rückblick auf die Exkursion des Schwerpunkt 2 nach Erfurt

Im Anflug auf das BAG: Rückblick auf die Exkursion des Schwerpunkt 2 nach Erfurt

© Juristische Fakultät Hannover

Auch zum Abschluss der Vorlesungszeit des Wintersemesters 2023/2024 bot Professor Dr. Heinrich Kiel, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht, die äußerst beliebte Exkursion zum BAG nach Erfurt an.

Kein Wunder also, dass das Angebot mit Begeisterung aufgenommen wurde. Am 22.01.2024 machten sich dann neun Studierende des Schwerpunktbereichs 2 (Arbeit, Unternehmen, Soziales) gemeinsam mit vier Ehemaligen auf nach Erfurt.

Nach einer ziemlich langwierigen und holprigen Anreise mit der Bahn konnten wir schließlich gegen Nachmittag in unserer Unterkunft, dem Augustinerkloster zu Erfurt, unsere Zimmer beziehen. Die lange Bahnfahrt hatte bei uns einiges an Bewegungsdrang angestaut und so zogen wir kurz darauf los, um die Stadt zu erkunden. Wir schlenderten durch die historische Altstadt mit ihren vielen kleinen Geschäften hin zur Zitadelle auf dem Petersberg, von wo aus wir den Blick über die beleuchte Stadt genossen. Gegen Abend wurden wir von Herrn Professor Kiel im Kloster abgeholt. Nach einer kurzen Einführung in die Fälle des kommenden Verhandlungstages machten wir uns zu einem gemeinsamen Restaurantbesuch auf. Auf dem Weg dorthin führte uns Herr Professor Kiel durch eine Vielzahl schmuckvoller kleiner Gassen, die uns ohne seine Ortskenntnisse entgangen wären. Bei dem gemeinsamen Essen im auserwählten Restaurant führten wir viele interessante Gespräche und lernten uns noch einmal näher kennen. Nachdem sich Herr Professor Kiel verabschiedet hatte, ließ ein Teil der Gruppe den Abend in einer Bar ausklingen.

Nach einer Nacht umgeben von historischen Mauern machten wir uns am nächsten Morgen früh auf den Weg zum BAG – schließlich waren wir in Erfurt, um zwei Verhandlungen zu verfolgen. Auf dem Weg dorthin stieß Herr Professor Kiel zu uns und vermittelte uns eine Vielzahl von Informationen zu der Architektur des BAG. So erzählte er uns unter anderem, dass das Gebäude die Rechtsprechung des BAG als Revisionsgericht verkörpere. Sie müsse gradlinig und vorhersehbar sein, dürfe keine Rücksicht auf Einzelfälle nehmen, solle aber zugleich erforderliche Konturen aufweisen.

Am BAG angekommen bekamen wir von dem wissenschaftlichen Mitarbeiter des Neunten Senats, Richter am Arbeitsgericht Herrn Dr. Thieken eine Einführung in den Sitzungstag und konnten so gut informiert die zwei Verhandlungen verfolgen.

Gegenstand der ersten Verhandlung waren drei Sachen, in denen es jeweils um einen Anspruch auf tarifvertragliche Sonderzahlungen ging. Besonderheit des Falls war, dass er in einem Gesamthafen handelte. Dessen Errichtung – quasi als Dacheinrichtung, bei der die Mitarbeiter angestellt sind, um dann an die Hafeneinzelbetriebe verliehen zu werden – stellt eine Ausnahme zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz dar, nach dem an die Überlassung von Arbeitnehmern strenge Anforderungen gestellt werden. Der Gesamthafen als zulässige Ausnahme fungiert gewissermaßen als Sozialeinrichtung, um den Arbeitnehmern ein dauerhaftes Einkommen zu garantieren, zugleich aber dem wechselnden Bedarf an Arbeitskräften in den einzelnen Hafenbetrieben gerecht zu werden.

Der Senat in Person von Professor Kiel zeigte sodann die sich rechtlich stellenden Probleme des Falls auf. So ging es etwa um die Anwendbarkeit eines Zukunftssicherungstarifvertrages, der im Fall der Anwendbarkeit die Sonderzahlungen nach dem o.g. Tarifvertrag ausschließen würde. Zudem stellte sich die Frage, ob im Tarifvertrag normierte Ausschlussfristen hinreichend bestimmt genug sind und ob diese, sofern dies der Fall ist, eingehalten worden waren. Zu all diesen Fragen muss sich der Senat (aktuell) nicht verhalten, da letztendlich ein Vergleich erzielt wurde, der allerdings noch widerrufen werden kann. Obwohl möglich, regen die Senate des BAG selten einen Vergleich an, weil es in der Revisionsinstanz nicht mehr (primär) um den einzelnen Fall, sondern die Formulierung von Rechtssätzen für die gesamte arbeitsrechtliche Praxis geht.

In der zweiten Verhandlung ging es um einen Piloten, der vormals bei Ryanair beschäftigt war und nunmehr von der Airline auf Rückzahlung von Ausbildungskosten in Anspruch genommen wurde. Das erste aufgeworfene Problem bestand darin, dass der Arbeitsvertrag keine Ausnahme von der Rückzahlungspflicht für Fälle vorsah, in denen der Arbeitnehmer selbst kündigt, die Eigenkündigung aber auf Gründe aus der Sphäre des Arbeitgebers zurückzuführen ist. Die Klausel könnte daher eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB darstellen.

Weiter wurde die Frage erörtert, ob deutsches Recht überhaupt anwendbar ist, da der Arbeitsvertrag eine Rechtswahlklausel zugunsten des irischen Rechts beinhaltete. Eine solche Rechtswahlklausel ist allerdings nicht möglich, wenn dem zwingendes Recht wie vorliegend möglicherweise die § 305 ff. BGB entgegensteht. Es würde sich sodann die Frage stellen, ob die §§ 305 ff. BGB auch im Bereich des Arbeitsrechts zwingendes Recht sind.

Der Senat entschied sich letztendlich für die „kleine“ Lösung und ließ den geltend gemachten Anspruch an der Rückzahlungsklausel selbst scheitern. Als Begründung wurde ausgeführt, dass das deutsche Recht für den Arbeitnehmer günstiger ist und selbst wenn irisches Recht günstiger wäre, es zu keiner weitreichenderen Rechtsfolge käme. Ergebnis wäre nämlich jeweils, dass kein Rückzahlungsanspruch besteht.

In der Sitzung wurde ebenfalls eine „große Lösung“, dass die Rechtswahlklausel in der verwendeten Form insgesamt nicht funktioniere, da keine Ausnahmen für zwingende Tatbestände aufgeführt seien, erwogen. Diese hätte die Anwendbarkeit deutschen Rechts insgesamt zur Folge gehabt. Dadurch wären allerdings grundlegende Folgefragen aufgeworfen worden, die in der Sitzung intensiv diskutiert wurden und ggf. teilweise dem EuGH i.R.e. Vorabentscheidungsverfahrens hätten vorgelegt werden müssen. Dem hätte hier aber vermutlich entgegengestanden, dass keine Entscheidungserheblichkeit bestand und sich Ausführungen hierzu als nicht in der Prozessordnung vorgesehenes obiter dictum darstellen würden. Wir sind auf die schriftliche Begründung des Urteils gespannt.

Nach zwei spannenden und sehr unterschiedlichen Verhandlungen, in denen wir neben der Diskussion rechtlicher Fragen auf höchstem Niveau auch die menschliche Verhandlungsleitung von Professor Kiel bestaunen konnten, aßen wir gemeinsam im Casino des BAG zu Mittag und tauschten uns über die verhandelten Fälle aus.

Gut gestärkt bekamen wir von Herrn Becker noch eine Führung durch das Gerichtsgebäude, welches anders als viele andere zu diesem Zweck errichtet wurde. Im Rahmen des Rundgangs durften wir z.B. einen Blick in ein Besprechungszimmer der Senate, die Bibliothek und auf die Portraits der ehemaligen Richter und Richterinnen sowie der ehemaligen Präsidenten und Präsidentin des BAG werfen. Darüber hinaus erzählte Herr Becker uns viel über die Abläufe im Haus, die Geschichte des BAG und den Prozess der Richterwahl.

Am Schluss bleibt uns, einen großen Dank an Herrn Professor Kiel auszusprechen, der uns die Exkursion überhaupt erst ermöglicht hat und sowohl von uns als auch im ganzen Gericht als äußerst geschätzte und respektierte Persönlichkeit sowie als unglaublich freundlicher Menschen wahrgenommen wird. Der Besuch des BAG und die ganzen geführten Gespräche werden uns sicherlich lange in Erinnerung bleiben und stellen für einige von uns einen schönen Abschluss des Schwerpunkts, für alle aber gewiss eine einmalige Erfahrung dar.

Verfasst von Maja Dettmers.

Über den Schwerpunktbereich 2

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Verfasst von PSR