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OVG Greifswald, Beschluss vom 23.04.2021 – 1 KM 221/21

OVG Greifswald, Beschluss vom 23.04.2021 – 1 KM 221/21

Zur Verfassungsmäßigkeit nächtlicher Ausgangsbeschränkungen.

Die Rechtmäßigkeit nächtlicher Ausgangssperren ist zwischen den verschiedenen hierzu entscheidenden Gerichten umstritten. Exemplarisch werden hier die Entscheidungen des OVG NRW und des OVG MV dargestellt.

Das OVG Münster hält im Beschluss vom 22.04.2021 – 13 B 610/21 Ausgangsbeschränkungen von 21.00 bis 06.00 Uhr vor dem Hintergrund einer 7-Tage-Inzidenz von "über 100" für zulässig.

Der überwiegende Anteil der Neuinfektionen finde derzeit im privaten Bereich statt. Gesteigerte Kontrollen im privaten Umfeld seien aber – da gerade zur Abend- oder Nachtzeit die Privatspähre intensiv beeinträchtigend – kaum möglich. Die Eignung von Ausgangsbeschränkungen zur Pandemiebekämpfung sei zwar umstritten, verschiedene Studien nähmen aber zumindest einen statistisch signifikanten Einfluss an. Insofern komme dem Kreis ein Einschätzungsspielraum zu. Zuvor bereits ergriffene Maßnahmen, wie Kontaktbeschränkungen im privaten Umfeld, hätten nicht die gewünschte Wirkung gezeigt. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass unzumutbare Härten durch verschiedene Ausnahmergeln vermiedern würden und die Geltungsdauer der Allgemeinverfügung auf zwei Wochen – und damit die durchschnittliche Inkubations- und Quarantänezeit – beschränkt sei.

Pressemitteilung vom 22.04.2021

 

Das OVG Greifswald hält im Beschluss vom 23.04.2021 – 1 KM 221/21 Ausgangsbeschränkungen von 21.00 bis 06.00 Uhr ab einer 7-Tage-Inzidenz von 100 hingegen für unzulässig. Amtliche Leitsätze:

5. Der schwerwiegende Eingriff in das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit durch die Festlegung einer nächtlichen Ausgangsbeschränkung darf nicht lediglich mit dem Ziel angeordnet werden, weniger eingreifende Maßnahmen "abzusichern“.

6. Der Eingriff zielt maßgeblich darauf ab, die bestehenden Kontaktbeschränkungen im Hinblick auf Kontaktmöglichkeiten zwischen Menschen insbesondere bei nächtlichen Aktivitäten abzusichern. Einer mittels Ausgangsbeschränkung zusätzlichen bzw. nochmaligen gesetzlichen Untersagung von Zusammenkünften, die über die erlaubte Personenanzahl hinausgehen, bedarf es dazu nicht.

7. Es ist nicht angemessen, alle in einem bestimmten Gebiet lebenden Personen einer Ausgangsbeschränkung zu unterwerfen, nur weil einzelne Personen und Personengruppen die geltenden allgemeinen Kontaktbeschränkungen nicht freiwillig befolgen. Denn dies bedeutet, diejenigen, die ohnehin mit Blick auf die geltenden Kontaktbeschränkungen bereits als Nichtstörer in Anspruch genommen werden und die diese Kontaktbeschränkungen auch vollumfänglich beachten, gewissermaßen „doppelt“ erneut als Nichtstörer einem weiteren Eingriff zu unterwerfen, obwohl hierfür gerade ihnen gegenüber keine Veranlassung besteht.

8. Es ist nicht die Aufgabe des sich rechtskonform verhaltenden Bürgers, den staatlichen Stellen ihre Aufgabenwahrnehmung in Gestalt der Kontrolle und Durchsetzung der Kontaktbeschränkungen zu erleichtern.

Beschluss frei zugänglich