Der VFS Hannover (Verein zur Förderung der Steuerrechtswissenschaft an der Leibniz Universität Hannover) macht sich seit Jahren dafür stark an der Leibniz Universität Hannover Deutschlands erste Tax Law Clinic errichten zu dürfen. Hierfür kämpft er gegen das gesetzliche Verbot der altruistischen Beratung in Steuerrechtsfragen – auch gerichtlich. Nun ist endlich ein erfreuliches Ende dieses Kampfes in Sicht. Ein neuer Gesetzesentwurf der Bundesregierung will Tax Law Clinics ab Mai 2024 legalisieren. Dann wird es – wenn alles glatt läuft – an unserer Uni Deutschlands erste unentgeltliche studentische Steuerrechtsberatung für Studierende geben.
Derzeit ist eine solche Tax Law Clinic – anders als in allen anderen Rechtsgebieten – verboten. Denn für das Steuerrecht bestimmt das Steuerberatungsgesetz (StBerG), dass Hilfeleistung in Steuersachen geschäftsmäßig nur von Personen und Vereinigungen ausgeübt werden, die dazu befugt sind. Der Erlaubnistatbestand des § 6 des Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) – der Law Clinics allgemein erlaubt – greift hier nicht. Denn das StBerG verdrängt als lex specialis das RDG (vgl. § 1 Abs. 3 RDG). Das führt zu Ergebnissen die unter Gleichheitsgesichtspunkten verfassungsrechtlich nicht unbedenklich sind. Aus diesem Grund klagt der VFS Hannover gegen das Verbot. Derzeit ist eine Verfassungsbeschwerde des von Mitgliedern des VFS Hannover gegründeten Tax Law Clinic Hannover e.V. i.G. beim Bundesverfassungsgericht anhängig (Aktenzeichen.: 1 BvR 1042/23). Diese war nötig geworden, nachdem der Bundesgerichtshof eine Rechtsbeschwerde des Vereins zurückgewiesen hat (Beschluss vom 28. März 2023 – II ZB 11/22, MDR 2023, 927).
Parallel zu den Klageverfahren warb der VFS Hannover für seine Idee der Tax Law Clinic an anderen Universitäten, bei Verbänden, Politikern und in den zuständigen Ministerien. Diese Bemühungen scheinen nun von Erfolg gekrönt zu sein. Noch während der Tax Law Clinic Hannover e.V. i.G. abmühte die Verfassungsbeschwerde auf den Weg zu bringen, veröffentlichte das Bundesfinanzministerium Anfang Juni den Entwurf eines Gesetzes zur Legalisierung von Tax Law Clinics (Bundesfinanzministerium - Gesetz zur Neuregelung beschränkter und unentgeltlicher geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der steuerberatenden Berufe). Das im Steuerberatungsgesetz (StBerG) enthaltene Verbot soll abgeschafft und die Möglichkeit zur unentgeltlichen Beratung auf dem Gebiet des Steuerrechts der Regelung im RDG angepasst werden.
In der Gesetzesbegründung heißt:
„Mit der Neuregelung des § 6 des Steuerberatungsgesetzes in der Entwurfsfassung (StBerG-E) soll die unentgeltliche geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen im Regelfall zulässig werden. […] Nach der derzeitigen Fassung des § 6 Nummer 2 StBerG darf ausschließlich Angehörigen […] unentgeltlich Hilfe in Steuersachen geleistet werden. Dies führt zu dem wertungsmäßig kaum nachvollziehbaren Ergebnis, dass altruistische Hilfeleistungen außerhalb des engsten Verwandtenkreises selbst dann nicht zulässig sind, wenn deren sachgerechte Erbringung aufgrund der Anleitung einer zur unbeschränkten Hilfeleistung in Steuersachen befugten Personen sichergestellt wäre. Zudem erscheint es mit Blick auf § 6 des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) kaum gerechtfertigt, die unentgeltliche Hilfeleistung in Steuersachen weitaus stärker zu regulieren als die unentgeltliche Rechtsdienstleistung in allen anderen Rechtsgebieten.“
Der Gesetzesentwurf wurde inzwischen von der Bundesregierung beschlossen (BR-Drs 361/23). Wenn er erfolgreich das Gesetzgebungsverfahren durchläuft – wofür momentan alles spricht – kann im nächsten Mai an der Leibniz Universität Hannover Deutschlands erste Tax Law Clinic ihre Arbeit aufnehmen. Der VFS Hannover hat bereits mit den Vorbereitungen begonnen und befindet sich hierzu in der Abstimmung mit der Universität.
Hintergrund: Die Erfolgsgeschichte der Law Clinics
Von der unentgeltlichen Rechtsberatung in Law Clinics profitieren sowohl die Beratenden als auch die Beratenen. Dass eine solche unentgeltliche Rechtsberatung überhaupt stattfinden kann, ist Dr. Helmut Kramer zu verdanken. Der mittlerweile 93-jährige war Richter am OLG Braunschweig und machte sich Zeit seines Berufslebens für eine Aufarbeitung des NS-Unrechts in der Justiz stark. Er brachte durch seine Verfassungsbeschwerden das damals geltende umfassende Verbot der unentgeltlichen Rechtsberatung durch nicht zugelassene Personen zum Fall. In den darauffolgenden Entwicklungen wurde das Rechtsberatungsrecht grundlegend reformiert und mit § 6 RDG ausdrücklich eine unentgeltliche Rechtsberatung erlaubt. Zu dem bisher bestehenden Verbot führte die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/3655, S. 39) aus:
„Die Einbeziehung auch der unentgeltlichen Rechtsberatung in den Schutzbereich des Gesetzes zur Verhütung von Missbräuchen auf dem Gebiet der Rechtspflege im Jahr 1935 war geprägt von dem Bestreben, jede Umgehung des Verbots der rechtlichen Betätigung der damals vom Beruf des Rechtsanwalts und des Rechtsbeistands ausgeschlossenen Personen, vor allem der zahlreichen jüdischen Rechtsanwälte, zu unterbinden […] Verbraucherschutzinteressen haben dieses umfassende Verbot unentgeltlicher Rechtsberatung nie gerechtfertigt“
Seit 2008 ist damit auch eine unentgeltliche Rechtsberatung durch Studierende unter Anleitung von Volljuristinnen und Volljuristen in Law Clinic zulässig. Die seitdem stetig wachsende Law Clinic Szene ist eine wahre Erfolgsgeschichte
Aber wo bleibt die Beratung im Steuerrecht?
Bereits seit seiner Gründung im Jahr 2015 verfolgt der VFS Hannover die Idee, an der Leibniz Universität Hannover eine Law Clinic auch für Steuerrecht zu errichten. Die Tax Law Clinic soll Studierende für das Steuerrecht gewinnen und ihnen die Gelegenheit geben, erste praktische Erfahrungen im Steuerrecht zu sammeln. Steuerrechtsprobleme gibt es auch für Studierende zuhauf: Muss ich eine Steuererklärung abgeben, etwa weil ich einen Job am Lehrstuhl und noch einen bei der Messe hatte? Kann ich eine Steuererklärung abgeben, um etwas von der abgeführten Lohnsteuer zurückzubekommen? Wie geht das überhaupt? Kann ich die Aufwendungen für mein Studium steuermindernd geltend machen? Und was muss ich sonst noch beachten…? Natürlich wird auch in der Tax Law Clinic die Qualität durch die Anleitung eines im Steuerrecht tätigen Berufsträgers sichergestellt werden, der den beratenden Studierenden immer als Ansprechpartner zur Verfügung steht.
Ein langer Kampf gegen das Verbot
Der VFS Hannover vertritt seit jeher die Auffassung, dass das im StBerG enthaltene Verbot im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht haltbar und infolgedessen verfassungswidrig ist. Denn das Verbot im StBerG ist nahezu identisch mit dem Verbot des Rechtsberatungsgesetzes, welches die Nationalsozialisten 1935 erlassen haben und durch Bundesverfassungsgericht in seinen o.g. Kramer‑Entscheidungen als verfassungswidrig angesehen hatte. Ein zunächst unternommener finanzgerichtlicher Klärungsversuch scheiterte. Sowohl das Niedersächsische Finanzgericht als auch der Bundesfinanzhof sahen die vorbeugende Feststellungsklage als unzulässig an, da das qualifizierte Feststellungsinteresse fehle (mehr hierzu unter https://vfs-hannover.de/2020/12/01/bundesfinanzhof-verneint-feststellungsinteresse-fuer-klage-in-sachen-tax-law-clinic/). Die Gerichte waren der Auffassung, dass eine zumutbare Alternative wäre die Ordnungswidrigkeit zu begehen und hiermit neben einer Geldbuße auch den Verlust der Gemeinnützigkeit des Vereins zu riskieren.
Der VFS Hannover beschloss, der finanzgerichtlichen Anstiftung zum Gang in die mögliche Illegalität nicht zu folgen. Stattdessen wurde nach langer Diskussion der Stolpersteine und rechtlichen Hürden im Oktober 2021 durch die Mitglieder des VFS Hannover ein neuer Verein namens „Tax Law Clinic Hannover“ gegründet, dessen einziger Satzungszweck die Errichtung und der Betrieb der (verbotenen) Tax Law Clinic an der Leibniz Universität Hannover ist.
Die für die Eintragung in das Vereinsregister erforderlichen Unterlagen wurden mit einem Hinweis auf die mögliche Rechtswidrigkeit des Vereinszwecks an das Registergericht übersandt. Dieses verwehrte (wie erwartet) die Eintragung ins Vereinsregister aufgrund eines fehlenden (wirksamen) Satzungszwecks, da der bestehende Zweck aufgrund des Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot analog § 134 BGB nichtig sei. Der sich in Gründung befindende Tax Law Clinic Hannover Verein (e.V. i.G.) legte daraufhin Beschwerde ein, der weder das Amtsgericht noch das Oberlandesgericht Celle abhalf. Das Oberlandesgericht bestätigte die Entscheidung des Amtsgerichts, ließ jedoch die Rechtsbeschwerde zu (OLG Celle, Beschluss vom 10. März 2022 – 9 W 14/22, BeckRS 2022, 46940). Diese legte der e.V. i.G. bei dem Bundesgerichtshof ein. Tatkräftig unterstützt und vertreten wurde er dabei von dem Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof und Honorarprofessor am Institut für Prozess- und Anwaltsrecht der Leibniz Universität Hannover Prof. Dr. Volkert Vorwerk (https://www.jura.uni-hannover.de/de/news-veranstaltungen/neuigkeiten/aktuelles-detailansicht/news/tax-law-clinic-hannover-zieht-mit-professor-dr-volkert-vorwerk-zum-bundesgerichtshof).
Ende März dieses Jahres wies der Bundesgerichtshof die Rechtsbeschwerde zurück. Zwar sei es fraglich, ob der durch das Verbot verfolgte Schutz der Rechtsuchenden einen so weitgehenden Ausschluss unentgeltlicher Steuerrechtsberatung erfordere, denn dieser Schutz könne auch durch die mittlerweile im RDG vorgesehene Anleitung der beratenden Studierenden durch qualifizierte Personen, also durch Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälte, erfolgen. Eine solche Anleitung, die keine ständige Begleitung und Beaufsichtigung der Beratenden, sondern lediglich eine Mitwirkung im Einzelfall erfordere, genüge auf dem Gebiet des Steuerrechts aber nicht. Denn hier schütze das Verbot auch das Steueraufkommen. Auch wenn die durch die Tax Law Clinic beratenen Steuerfälle regelmäßig nur von geringerem finanziellem Gewicht sein dürften, könne sich eine Vielzahl dieser Fälle in der Summe für das Steueraufkommen auswirken (BGH, Beschluss vom 28. März 2023 – II ZB 11/22, MDR 2023, 927).
Dieses Argument überzeugt allerdings nicht. Verfassungsrechtlich geschützt ist nur das gesetzmäßige und gleichmäßige Steueraufkommen, nicht aber die Maximierung des nominalen Steueraufkommens. „Steuern sollen weder zu hoch noch zu niedrig festgesetzt werden.“ (BT-Drs. VI/1982, S. 132). Bereits der durchschnittliche Steuerpflichtige ist auf Unterstützung angewiesen, um seine Rechte im Rahmen der Besteuerung vollständig zur Geltung bringen zu können und nicht über Proporz besteuert zu werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. März 1967 – 1 BvR 575/62, BVerfGE 21, 227-239, Rn. 31).
Wenn Studierende durch einen Hinweis der Tax Law Clinic gesetzeskonform Steuern erstattet bekommen oder weniger Steuern zahlen müssen, führt dies daher nicht zu einer Gefährdung des Steueraufkommens, sondern trägt vielmehr zur Sicherung des gesetz- und gleichmäßigen Steueraufkommens bei. Daher sehen wir das Verbot als verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt an. Dieser Auffassung hat sich nunmehr im Ergebnis auch die Bundesregierung angeschlossen und die Legalisierung der Tax Law Clinic auf den Weg gebracht. Es ist äußerst erfreulich, dass der Einsatz des VFS Hannover nunmehr bald zu einem guten Ende kommt.
Wer mehr über die Bemühungen des VFS Hannover um die Tax Law Clinic erfahren möchte, findet weitere Informationen auf der Website des Vereins: www.vfs-hannover.de. Wer bereits jetzt Interesse an einer Mitwirkung anmelden möchte, kann dies per Mail an info@vfs-hannover.de tun.
Verfasst von Dr. Thomas Keß und Lennart Sindermann.
Über den VFS Hannover
Der VFS Hannover ist bestrebt das steuerrechtliche Angebot aufzustocken, um Interesse und ein gewisses Gespür für das Steuerrecht und seine Relevanz zu vermitteln, da dem Rechtsgebiet eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung zukommt und es mit nahezu allen Rechtsgebieten verknüpft ist.
Der VFS Hannover organsiert mit seiner Studentischen Vereinigung Studienfahrten, Steuerrechts-Crashkurse, Besuche bei Kanzleien und Unternehmen sowie studentische Stammtische mit Ehrengästen aus Richterschaft, Beraterschaft, Unternehmen und Verwaltung. Die Veranstaltungen stehen allen Studierenden offen. Der Verein organisiert und unterstützt auch die Teilnahme der Leibniz Universität am Steuerrechts-Moot-Court vom Bundesfinanzhof und der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft. Beim jüngsten Durchgang hat das Team aus Hannover den ersten Platz belegt (https://www.jura.uni-hannover.de/de/news-veranstaltungen/neuigkeiten/aktuelles-detailansicht/news/steuerrechts-moot-court-team-hannover-gewinnt-wettbewerb-am-bundesfinanzhof-in-muenchen).
Der jährliche Mitgliedsbeitrag für Studierende beläuft sich auf 5,-€.
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